Traueranzeige: Ableben von Jürgen Pelikan

Unser Kollege, Lehrer, Freund Jürgen M. Pelikan, Soziologe und Gesundheitswissenschaftler, emeritierter Universitätsprofessor am Institut für Soziologie der Universität Wien, Gründer und langjähriger Leiter des Ludwig Boltzmann-Instituts für Medizin- und Gesundheitssoziologie, ist letzte Woche nach langer Krankheit verstorben. Sein Tod im 84. Lebensjahr kam nicht ganz überraschend, aber doch dann plötzlich und hinterlässt für uns, aber auch für viele andere eine schmerzhafte Lücke. Seine Verdienste um die Medizin- und Gesundheitssoziologie, um die Organisationssoziologie und soziologische Theorie, gesundheitspolitische und rechtspolitische Innovationen in Österreich und nicht zuletzt um die Internationale Public Health können kaum überschätzt werden. Trotz zunehmender Beeinträchtigung arbeitete er bis in seine letzten Tage an einem internationalen Projekt zur Gesundheitskompetenz. Wir werden gemeinsam mit weiteren Kolleg*innen und in Abstimmung mit seiner Frau, Professorin Marina Fischer-Kowalski, einen passenden Rahmen für eine Würdigung seiner Beiträge in Forschung, Lehre und Anwendung für die zweite Hälfte des Jahres 2023 vorbereiten.

Karl Krajic, Rudolf Forster (für die Sektion Gesundheits- und Medizinsoziologie der ÖGS)

Veranstaltung der Sektion „Gesundheits- und Medizinsoziologie“ der ÖGS in Kooperation mit der DGS-Sektion „Medizin- und Gesundheitssoziologie“ und dem SGS-Forschungskomitee „Gesundheits- und Medizinsoziologie“ am 4.-5 Juli 2023 am Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie: „Kritische Zeiten“ 3.-5. Juli 2023, WU Wien

Call for Abstracts EXTENDED – Versorgungskrise(n) im Gesundheitssystem?  – Formen, Ursachen, Auswirkungen

Die Pandemie scheint (fast) bewältigt zu sein – es sieht danach aus, dass die Krisen im System der Krankenbehandlung/ im „Gesundheitssystem“ aber bleiben, sich sogar eher verschärfen. Überall fehlt Personal bei den Gesundheitsberufen und Prognosen deuten nicht auf eine baldige Beendigung dieser Knappheit hin – eher auf das Gegenteil. Als Konsequenz der Personalknappheit werden teilweise Krankenhausbetten gesperrt, Wartezeiten auf wichtige Operationen werden länger, scheinen sozial ungleich verteilt zu sein und beim noch verbleibenden Gesundheitspersonal herrscht Überlastung. In der Primärversorgung reicht der Bogen von überlasteten Kassenpraxen, nur sehr schleppend entwickelte Primärversorgungseinheiten bis zu einem breiten Markt von privatmedizinischen Angeboten für die Zahlungsfähigen und -willigen. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens wird seit der neoliberalen Wende in der Politik vorangetrieben. In vielen Spezialbereichen werden Mangelsituationen gemeldet, vor allem – aber nicht nur – in peripheren Regionen.  Wichtige Medikamente werden knapp, das komplexe System einer weltweit vernetzten Pharma-Produktion, eines just-in-time arbeitenden Großhandels, einer dichten patientennahen Versorgung vor Ort gerät immer wieder ins Stocken.

Die Versorgung psychischer und psychosozialer Probleme ist weiterhin defizitär und kaum in der Lage, mit den Versorgungsbedarfen zurecht zu kommen. Der generell konstatierte Vertrauensverlust gegenüber Politik und Verwaltung, gegenüber Wissenschaft und Medien scheint sich auch auf das (öffentliche) Gesundheitswesen auszuweiten – die Kontroversen rund um die Einschätzung und das Management der Pandemie haben möglicherweise die seit Jahrzenten konstatierten Erosionsprozesse weiter beschleunigt.

Alles das findet in einem Kontext statt, in dem seit 70 Jahren ein stabiler Trend der Erhöhung der Lebenserwartung und der Verbesserung funktionaler Gesundheit in fast allen Ländern – zumindest des globalen Nordens – beschrieben werden kann. Viele Krankheiten, Verletzungen etc., die noch vor wenigen Jahren ein Todesurteil oder eine massive Einschränkung von Lebensqualität bedeutet haben, gelten in der Zwischenzeit als managebar, teilweise sogar als heilbar. Noch nie gab es ein so breites, differenziertes und gut ausgebildetes Angebot von spezialisierten Expert*innen in den Gesundheitsberufen. Wirksame und sichere Impfungen für viele Krankheiten stehen zur Verfügung – auch neue können extrem schnell entwickelt werden. Die Zugänglichkeit auch von sehr teuren Krankenbehandlungen ohne hohes Einkommen oder Vermögen ist jedenfalls prinzipiell durch wohlfahrtsstaatliche Angebote gesichert. Auch in der Prävention werden Fortschritte gemacht; Die Bereitschaft der Gesundheitspolitik, auch schwierige Themen wie zum Beispiel psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zu adressieren, ist in vielen Ländern gestiegen.

Im Kontext dieser Entwicklungen stellen sich für Soziolog*innen eine Vielzahl von Forschungsfragen, zum Beispiel zu den Formen, Ursachen und Auswirkungen der verschiedenen Krisen im Gesundheitssystem. Es eröffnen sich aber auch Forschungsperspektiven zur Reflexion der Krisendiskurse im Kontext der säkularen Verbesserungen in Versorgung und Gesundheit und politischer Reform(-bereitschaft).

Eingeladen werden insbesondere Beiträge zu folgenden Bereichen

  • Personalmangel und -belastung in der Gesundheitsversorgung und Pflege
  • Qualitative und quantitative Probleme im Ausbildungssystem für Gesundheitsberufe
  • Gesundheitliche Ungleichheit sowie Zwei- oder Mehrklassensystem in der Krankenbehandlung
  • Ausdünnung in der niederschwellig zugänglichen Primärversorgung / kassenärztliche Versorgungkrise
  • psychosoziale / psychotherapeutische Versorgungskrisen
  • Qualitätskrisen in der Gesundheitsversorgung
  • Medikamentenknappheit
  • Vertrauenskrisen/ fehlende Patientenorientierung
  • Kritische Reflexion der Krisendiskurse im Gesundheitswesen
  • Schließlich landen wir Beiträge ein, die sich mit Fragen der Herausforderung der Krankenversorgung und des Gesundheitsmanagement im Allgemeinen beschäftigen und kritischen Entwicklungen im Bereich der gesundheitlichen Versorgung aufzeigen.

Um diese und ähnliche Themen der Gesundheitssoziologie zu diskutieren, rufen wir zu empirisch fundierten Einreichungen und konzeptionell-theoretischen Beiträgen auf, die aktuelle Forschungsergebnisse vorstellen.

Es werden sowohl Einreichungen für Vorträge, wie auch für Posterbeiträge (besonders – aber nicht nur – für Early Career Research) angenommen. Bei Vorträgen soll eine ca. 15minütigen Präsentation vorbereitet werden, Posters (Format A0 – Hochformat) werden im Rahmen eines Posterwalks diskutiert; es wird eine Prämierung des besten Posters durch Vertreter*innen der ÖGS/DGS und SGS Sektion geben.

Bitte schicken Sie Ihr Abstracts (max. 2.400 Zeichen inkl. Leerzeichen) für Beitragsvorschläge gemeinsam mit der Angabe ob Sie für einen Kurzvortrag (ca. 15 Minuten) oder einen Posterbeitrag (mit Prämierung des besten Posters) einreichen, an die Organisatorin der gemeinsamen Sektionsveranstaltung: Simone Grandy (simone.grandy@fh-campuswien.ac.at) und Karl Krajic (karl.krajic@univie.ac.at).

Deadline der Abstract Einreichung ist der 15.3.2023, sie werden spätestens am 15.4.2023 über die Annahme des Beitrags informiert.