Sektionsveranstaltung Verkörperte Sozialität im Ausnahmezustand (Soziologiekongress 2021)
Call for Paper
Verkörperte Sozialität im Ausnahmezustand: Körper- und emotionssoziologische Perspektiven auf Vollzug,
Darstellung und Bewältigung von ‚Nähe auf Distanz‘
Veranstaltung der DGS-Sektion „Soziologie des Körpers und des Sports“ und der ÖGSSektion „Körper- und Emotionssoziologie“ im Rahmen des gemeinsamen Kongresses von DGS und ÖGS, 21.-23.8.2021 in Wien
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Die Corona-Pandemie und vor allem die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung („social distancing“) irritieren gesellschaftlich tiefsitzende Vorstellungen und Erwartungen zum Zusammenhang von sozialer und körperlicher Nähe. Auch ein soziologisches Grundverständnis von Sozialität, welches soziale Ordnung wesentlich auch als eine Ordnung der Körper zueinander im öffentlichen Raum begreift, ist daher durch die Umstände der Pandemie herausgefordert.
Gesellschaften kamen zwar schon vor der Corona-Pandemie und der Einführung sog. Abstandsregeln nicht ohne implizite soziale Regeln des Abstandhaltens und des Managements von ‚personal space‘ (Hall) aus. Das Verhältnis von körperlich-räumlicher und sozialer Nähe ist schon immer Gegenstand aktiver Aushandlungsprozesse. Durch die Maßnahmen im Zuge der Bekämpfung der Pandemie werden aber zum einen diese ansonsten stillschweigend vollzogenen Aushandlungsprozesse sowie die ‚unsichtbare‘ Arbeit besonders sichtbar, die nötig ist, um aus körperlich-räumlicher Nähe soziale Nähe zu machen. Zum anderen entsteht durch das verordnete physische Abstandhalten bzw. die gänzliche Vermeidung von physischen Interaktionen ein Handlungsproblem von besonderer Dringlichkeit und körper- und emotionssoziologischem Interesse: Wie lässt sich soziale Nähe herstellen, darstellen und managen, wenn man sich physisch nicht nahekommen kann bzw. darf?
In der geplanten Veranstaltung möchten wir Beiträge versammeln, die diese Frage aus dem Blickwinkel der Soziologie des Körpers und des Leibes sowie der Soziologie der Emotionen und Affekte adressieren. Wir fragen nach Beiträgen, die Aspekte der Herstellung, Darstellung oder Bewältigung von ‚Nähe auf Distanz‘ mit Bezug auf einen oder mehrere der folgenden empirischen Bereiche thematisieren: (1) die Nutzung (oder Verweigerung) von „Gesichtsmasken“/„Mund-Nasen-Schutz“; (2) die Einführung und Handhabung neuer physischer Abstandsregeln in der sozialen Interaktion; und (3) die vermehrte Substitution von Face-to-Face-Interaktionen durch Interaktionen mittels digitaler Kommunikationstechnologie.
(1) Nutzung oder Verweigerung des Tragens von „Gesichtsmasken“/ „Mund-Nasen-Schutz“
Neben ihrer materiell-räumlichen Anwesenheit funktionieren Körper im öffentlichen Raum v. a. als kommunikative ‚Displays‘. Ihre „folgenschwere Offensichtlichkeit“ (Goffman) ist mit der Verbreitung von Mund-Nase-Bedeckungen deutlich verändert. So verdecken Masken wesentliche Teile des Gesichts und erschweren das Verstehen des Ausdrucks (sowohl des sprachlichen Ausdrucks als auch der Mimik, insbesondere des emotionalen Ausdrucks), vor allem dann, wenn sie in Verbindung mit Sonnenbrillen, Kappen oder Mützen getragen werden. Zugleich kommuniziert die Maske in gewisser Weise auch selbst: So lässt sich auch danach fragen, wie sich durch die materielle Machart von 2 Masken (z. B. Einwegmaske, waschbare Stoffmaske, Gesichtsvisier usw.) und ihre spezifische Aufmachung (einfarbig, bunt, Aufschrift, mit Firmenlogo, mit Hinweis auf einen Fußballverein, mit Verweis auf eine überstandene COVID-19-Erkrankung etc.) sowie der Entscheidung, in gewissen Situationen Masken zu tragen oder dies nicht zu tun, krisenhafte Formen der Darstellung und des Managements von Nähe auf Distanz formieren.
(2) Einführung und Handhabung ‚neuer‘ physischer Abstandsregeln
Wie thematisieren Diskurse rund um die pandemiebedingten neuen Regeln des Abstandhaltens und der Kontaktvermeidung gesellschaftlich geltende Vorstellungen von gebührendem Abstand und damit das Verhältnis von Abstand und Anstand? Welche Praktiken der Vermeidung oder des anderweitigen Managements körperlicher Nähe lassen sich in sozialen Interaktionen in Corona-Zeiten beobachten? Der globale Charakter der Pandemie verweist zudem auf den geografisch, national- oder ‚kultur‘-räumlich variierenden Charakter von Regeln körperlicher Proxemik und ihrer Thematisierung als (un-)angemessen. Ähnliches lässt sich über die Deutung von textiler Bedeckung als ‚Einschränkung‘ der persönlichen Individualität vermuten. Welche diesbezüglichen Deutungen bzw. Umdeutungen von persönlichen ‚Territorien des Selbst‘ (Goffman) und von ‚verhüllten‘ Körpern lassen sich beobachten? Welche Emotionen und Affekte werden durch das ‚physical distancing‘ hervorgebracht? Wie wird versucht emotional aufgeladene Situationen trotz dieser Einschränkungen zu managen?
(3) Substitution von Face-to-Face-Interaktionen durch digital vermittelte Interaktionen
Schließlich ist auch danach zu fragen, wie digitale Kommunikationstechnologien in Zeiten gesellschaftlicher Lockdowns an der körperlichen Herstellung, Darstellung und Bewältigung von ‚Nähe auf Distanz‘ beteiligt sind. Welche Strategien und ‚unsichtbaren‘ Arbeiten lassen sich identifizieren, mit denen in medienvermittelter Kommunikation die Herstellung von ‚Nähe auf Distanz‘ betrieben wird? Wie lässt sich speziell die Körperlichkeit der vermeintlich entkörperten Interaktion beschreiben, gerade, wenn es um die Produktion emotionaler Nähe geht? Welchen Beitrag leisten verschiedene Medienformen – Messenger-Dienste, soziale Medien, Videotelefonie – zur Formierung des sprachlichen, mimischen und emotionalen Ausdrucks? Welche Hürden und Schwierigkeiten ergeben sich durch die Substitution und welche praktischen, kommunikativen und sozio-materiellen Leistungen der Darstellung und Kompensation lassen hierbei beobachten? Wie lassen sich die digital vermittelten Formen des Ausdrucks, der Kommunikation von Emotionen und des Umgangs mit Emotionen körper- und emotionssoziologisch zu deuten?
Wir freuen uns über Vortragsangebote, die im Bereich der umrissenen Fragen empirische oder konzeptuelle Beiträge von max. 20 Minuten Länge skizzieren.
Bitte schicken Sie einen Arbeitstitel samt Abstract (500 Worte) bis zum 15.03.2021 an die Organisator:innen
Stefan Laube (stefan.laube@jku.at)
Antonia Schirgi (antonia.schirgi@uni-graz.at)
Tobias Boll (boll@uni-mainz.de).
Wir informieren Sie bis zum 11.04.2021, ob Ihr Vortrag Teil des Programms wird.