Wir werden natürlich am ÖGS Kongress 3. bis 5. Juli 2023 mit einer Session dabei sein:
Krisenresistent oder durch Krisen geformt?
Empirische Methoden und Forschungsdesigns in kritischen Zeiten
Call for Abstracts für die Sektionsveranstaltungen der ÖGS Sektion
Soziologische Methoden und Forschungsdesigns
am ÖGS-Kongress 2023 zum Thema „kritische Zeiten“
Ort: WU Wien
Datum: 03.-05. Juli 2023
Der Call für Abstracts als PDF: KRITISCHE ZEITEN_METHODEN_FORSCHUNG
Kritische Zeiten und empirische Sozialforschung
Die Entwicklungslinien empirischer Sozialforschung lassen sich parallel zu gesellschaftlichem und technologischem Wandel skizzieren. Wenig verwunderlich, da gesellschaftliche Veränderungen sowie technologischer Fortschritt neue Möglichkeiten für die empirische Forschung schaffen. Entsprechend war die sozialwissenschaftliche Forschung in jüngerer Vergangenheit stark durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie geprägt, wobei die Pandemie nur eine von einer Vielzahl an Krisen war, die die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts erfasst hat. In immer kürzeren Abständen müssen sich Sozialwissenschaftler*innen mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Wirtschaftskrisen, Demokratiekrisen, Naturkatastrophen, Klimawandel, Kriegen, Terrorismus und anderen krisenhaften Erscheinungen auseinandersetzen. Inwiefern für die Erforschung solcher Krisen etablierte methodische Designs (noch) adäquat sind, bzw. womöglich zu kurz greifen, ist somit kritisch zu hinterfragen. Zusätzlich haben sich die Möglichkeiten für empirische Forschung ausgeweitet. Die Nutzung digitaler Methoden zur Datengewinnung und eine zunehmende Erschließung neuer Datenquellen im digitalen Raum führten und führen zu einer Vielzahl an neuen Entwicklungen und zur Reflexion alter Praktiken. Das verlangte nicht nur eine höhere Flexibilität der Forschenden (z.B. zur Anpassung gewählter Forschungsdesigns, u.a. aufgrund von Problemen im Feldzugang in Zeiten von Lockdowns bzw. weitreichenden Gesundheitsrisiken), sondern führte dazu, dass etablierte Qualitätsstandards und Annahmen über Onlineerhebungen (sei es in Form von quantitativen Online-Umfragen oder als qualitative Video-Interviews) hinterfragt wurden. Ausgehend davon gilt es kritisch zu hinterfragen:
1: Wie krisenresistent – im Sinne von „Bewährung“ in Krisenzeiten – sind aktuelle sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden und Forschungsdesigns? Welche kriseninduzierten Anpassungen sind notwendig und wie wirken sich diese aus?
2: Welche Ansätze, Debatten und Entwicklungen prägen die gegenwärtige empirische Sozialforschung im Allgemeinen?
Entsprechend organisiert die ÖGS-Sektion Soziologische Methoden und Forschungsdesigns zwei Panels. Details dazu finden sich weiter unten.
Alle Interessierten sind dazu eingeladen bis zum 31.März 2023 ein kurzes Abstract (ca. 250 Wörter) unter Nennung des für den Beitrag vorgesehen Panels und Angaben zu den Vortragenden (inkl. Kontaktdaten) an methoden@oegs.ac.at zu übermitteln. Alle Interessierten werden bis zum 30. April darüber verständigt, ob ihr Beitrag akzeptiert wurde.
Panel 1: Krisenresistenz von quantitativen Forschungsdesigns und Methoden
Die vergangenen Jahre haben aufgezeigt, dass eine Vielzahl an Krisen (z.B. Gesundheit, Finanzen, Umwelt, Energie) die globalen Gesellschaften erfasst haben. Insbesondere während der Corona-Pandemie mussten Forscher*innen auf etablierte Forschungsdesigns und Erhebungsmethoden (z.B. aufgrund von Kontaktbeschränkungen) verzichten bzw. diese abwandeln. Aber auch andere Krisenerscheinungen und gesellschaftliche Entwicklungen haben Auswirkungen auf die Möglichkeiten Forschung zu realisieren: Inflation und Kostensteigerung machen viele Formen der Datenerhebung prohibitiv teurer; Forschungsideen können aufgrund veränderter finanzieller Rahmenbedingungen (Reduktion von Fördermöglichkeiten durch öffentliche Fördergeber bzw. fehlende Anpassung von Fördermittel an Teuerung) nur bedingt umgesetzt werden. Der gesellschaftliche Wandel, der durch die Digitalisierung vorangetrieben wird, oder die Polarisierungstendenzen, die jede Krise mit sich bringen, machen es schwer, bestimmte etablierte Forschungsdesigns anzuwenden, weshalb kreative methodische Zugänge zur Erfassung der Perspektiven spezifischer Zielgruppen (z.B. jene, die skeptisch gegenüber Autorität und Wissenschaft sind) gefragt sind. Langfristig angelegte Zeitreihen- oder Panelstudien werden durch Krisen unterbrochen, müssen ausgesetzt oder neu gedacht werden. Für diese Herausforderungen braucht es mehr oder weniger kreative Lösungswege.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und wenn ja, welche Formen der sozialwissenschaftlichen Forschung sich in den letzten Jahren als krisenresistent herausgestellt haben, welche Forschungsdesigns angepasst werden mussten und wie Forschende diesen Entwicklungen begegnen.
Wir laden Forschende ein, in ihren Beiträgen Analysen, Überlegungen und Ansätze rund um Fragen der Krisenresistenz und kriseninduzierten Anpassung von Methoden der empirischen Sozialforschung zu präsentieren. Einreichungen sollten einen oder mehrere der folgenden Aspekte diskutieren:
• Welche Lösungswege wurden bei vergangenen Krisen gefunden, um empirische Forschung unter kritischen Bedingungen (z.B. Kontaktbeschränkungen, mangelnde finanzielle Ressourcen, Zeitdruck) zu realisieren?
• Welche Datenerhebungsmethoden haben sich als besonders krisenresistent oder krisenanfällig herausgestellt? Gab es Forschungsprojekte oder Teilbereiche wissenschaftlicher Forschungsprojekte, die nicht oder nur eingeschränkt realisiert werden konnten oder hat sich für manche Projekte die Krise sogar als Vorteil herausgestellt?
• Wie können sich schnell verändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen in der Planung von Forschungsprozessen berücksichtigt werden?
• Welche Möglichkeiten und Herausforderungen bietet die fortschreitende Digitalisierung für krisenresistente wie kriseninduzierte Anpassungen von Forschungsdesigns?
Panel 2: Aktuelle Debatten und Entwicklungen qualitativer Sozialforschung
In den letzten Jahren sind vor allem Diskussionen über die Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung für die Datenerhebung, Datenarchivierung und Datenanalyse geführt worden, die durch die Digitalisierung der Gesellschaft vorangetrieben werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass „altbewährte“ Probleme – die die Qualität empirischer Sozialforschung beeinträchtigen – damit ausgemerzt wären. Hierunter fallen unter anderem Stichprobenprobleme und Non-Response oder Aspekte, die die Messqualität reduzieren (z.B. Bias).
Ausgehend von den Auswirkungen der Digitalisierung auf sozialwissenschaftliche Forschung, laden wir Forschende ein, über den aktuellen Stand der Methodenforschung zu diskutieren und zu reflektieren, sowie das Entwicklungspotenzial der empirischen Sozialforschung auszuloten. Dies kann qualitative und/oder quantitative methodische Zugänge inkludieren sowie Mixed-Methods Ansätze. Einreichungen sollten einen Fokus auf eine oder mehrere der folgenden Themenstellungen legen:
• Herausforderungen und Lösungswege zur Generierung einer Stichprobe (z.B. Stichprobenverfahren (non-probability samples, theoretical sampling, Schneeballverfahren, etc.), Erreichbarkeit (Stichwort Barrierefreiheit, räumliche/zeitliche Limitierungen von potenziell zu Befragenden oder zu Beobachtenden und deren Motivation zur Teilnahme, etc.)
• Aktueller Stand empirischer Datenerhebung im Onlinesetting (z.B. Video-Interviews, Nutzung von Chatbots, VR-Brillen, Mixed-Device-Setting, etc.), dessen Akzeptanz und Optimierungsmöglichkeiten (z.B. die Feldarbeit betreffend).
• Verfügbarkeit, Nutzungsmöglichkeiten und Qualität zur Verfügung gestellter Daten (Sekundärdaten, amtliche Statistik, Big-Data, Paradaten, …) und damit einhergehende Problematiken (z.B. Anonymisierung qualitativer Daten für digitale Archive).
• Nutzung technischer Möglichkeiten im Rahmen sozialwissenschaftlicher Datenanalyse (z.B. Kausalanalysen, Netzwerkanalysen, Computergestützte qualitative Datenanalyse, Meta-Analysen, Simulationen) und damit einhergehende Schwachstellen.
• Entwicklung von und Orientierung an Standards (Normen, Gütekriterien) empirischer Sozialforschung zur Bewertung der Qualität von Studien (z.B. bezgl. Qualität der Stichprobe, Daten, Analyse, …)