ÖGS-Kongress „Alles im Wandel? Dynamiken und Kontinuitäten gegenwärtiger Gesellschaften“
26,-28. September 2019, Universität Salzburg
Call for Papers „Mobilisierung von Recht im Wandel“
„Mobilisierung von Recht“ meint die Tatsache, dass die meisten rechtlichen Instrumente, um überhaupt Wirkung entfalten zu können, von den Normunterworfenen – seien es Private, Organisationen oder Staaten selbst – erst einmal praktisch in Stellung gebracht werden müssen. Das Anrufen des Rechts ist soziologisch gesehen ein alles andere als selbstverständlicher Vorgang, der gleichermaßen zumindest diverse Ressourcen, Anspruchswissen, Rechtskenntnis und -bewusstsein sowie Zugang zu Justiz und Behörden voraussetzt.
In der gegenwärtigen deutschsprachigen rechtssoziologischen Diskussion werden vorrangig politisch motivierte kollektive Mobilisierungsformen wie strategische Prozessführungen zivilgesellschaftlicher Institutionen, cause lawyering oder Sammelklagen in den Blick genommen. Solche Rechtsnutzungen verweisen auf eine zunehmende Verrechtlichung des Politischen – und damit auch auf eine Politisierung des Rechts. Der Begriff der Mobilisierung von Recht, wie ihn der US-amerikanische Rechtssoziologe Donald Black geprägt oder in Deutschland Erhard Blankenburg verwendet hat, war indessen breiter angelegt: Er kreiste um die Frage, wie das Rechtssystem im Alltag eigentlich zu seinen Fällen kommt. So ist das Zustandekommen von Zivilprozessen etwa darauf angewiesen, dass Parteien, die ihre Ansprüche verfolgen, auch tatsächlich den Rechtsbehelf der Klage nutzen. Auch im Strafrecht, das gemeinhin mit staatlich-repressiver sozialer Kontrolle assoziiert wird, steht in den allermeisten Fällen die Kriminalanzeige einer Privatperson am Anfang.
Ausgehend von einem weiten Verständnis von Rechtsmobilisierung soll in der geplanten Session diskutiert werden, ob und wie sich die Inanspruchnahme von Recht verändert hat bzw. aktuell verändert. Dabei könnten beispielsweise folgende Fragen aufgegriffen werden: Sind sinkende Anzeigen- und Prozessraten ein Hinweis auf einen Bedeutungsverlust der Justiz oder des Rechts überhaupt? Gibt es demgegenüber bereichsspezifisch Phänomene der Verrechtlichung, die die Nachfrage nach juristischer Abhilfe vergrößern? Gewinnen „alternative“ informelle Rechtsbehelfe und Konfliktlösungsmechanismen an Bedeutung? Welche Chancen bieten politisch-strategische Nutzungen rechtlicher Verfahren? Ist der Zugang zum Recht zunehmend ungleich verteilt – oder bewirken Rechtshilfeeinrichtungen, dass heute mehr Menschen zu ihrem Recht kommen als in vergangenen Zeiten?