Galten Körper und Emotionen noch vor einigen Jahrzehnten als ungewöhnliche Gegenstände in der Soziologie, über deren soziologische Relevanz gestritten wurde, so sind beide Forschungsthemen international inzwischen gut etabliert und in ihrer zentralen Bedeutung für das Verständnis sozialer Phänomene anerkannt. Mehr noch: Körper und Emotionen sind – wie Materialität allgemein – als fundamentale und integrale Bestandteile des Sozialen in den Mittelpunkt der Soziologie gerückt: Soziale Akteur*innen sind nicht nur Menschen aus Fleisch und Blut, sondern sie zeichnen sich insbesondere auch dadurch aus, dass sie Gefühle haben. So sind Emotionen beispielsweise durch ihre spezifische Leiblichkeit charakterisiert, wodurch wiederum der erlebte Körper als Medium eines ‚gefühlten‘ Weltbezugs in den Mittelpunkt rückt. Emotionen sind zudem – ebenso wie Körper – Teil habitueller Dispositionen, die aus der sozialstrukturellen, kulturellen und historisch stets spezifischen gesellschaftlichen Einbettung von Akteur*innen resultieren. Sie beruhen auf einem impliziten Wissen und können insofern als Träger sozialer Praktiken begriffen werden. Und schließlich zeichnen sich Körper und Emotionen durch eine spezifische Vollzugs- und Erfahrungswirklichkeit aus, der es methodologisch zu begegnen gilt und die den etablierten Methodenkanon der Sozialwissenschaften bisweilen vor Herausforderungen stellt.

Trotz der vielfältigen Überschneidungen und ihrer Bedeutung auch für die allgemeine Soziologie haben sich beide Themenbereiche bisher allerdings weitgehend als eigenständige Bindestrich-Soziologien ausdifferenziert. Hier setzt die im Dezember 2017 auf dem Österreichischen Kongress für Soziologie in Graz gegründete ÖGS-Sektion „Körper- und Emotionssoziologie“ an.

Wir verfolgen folgende Ziele:

  1. Institutionalisierung einer theoretischen und empirischen Auseinandersetzung mit Körperlichkeit und Emotionalität unter dem Dach der ÖGS (Veranstaltung von Workshops und Tagungen, Vernetzung der Mitglieder über eine Mailingliste, Kooperationen mit anderen Sektionen und research networks etc.)
  2. Theoretisch-konzeptionelle Arbeit im Themenbereich Körperlichkeit und Emotionalität und an den Schnittstellen zwischen Körper- und Emotionssoziologie, auch unter Einbeziehung philosophischer und sozialtheoretischer Ansätze, die sich durch eine Offenheit gegenüber der Pluralität unterschiedlicher theoretischer Zugriffe auszeichnet
  3. Methodologische Reflexion einer soziologischen Auseinandersetzung mit Körperlichkeit und Emotionalität und dabei insbesondere die Diskussion der Stärken und Schwächen des etablierten sozialwissenschaftlichen Methodenkanons sowie die Auseinandersetzung mit neueren methodischen Entwicklungen
  4. Empirische Arbeit unter Berücksichtigung vielfältiger relevanter Phänomene wie z.B. Sport, Sexualität, Religion, Arbeit etc.