Soziologiekongress 2021
Veranstalter: Österreichische Gesellschaft für Soziologie (ÖGS) und Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Zeit: 23. bis 25. August 2021
Ort: Wirtschaftsuniversität Wien
Zur Kongresswebsite geht es hier.
„Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will!“ So lautete die Ermutigung an die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt im 19. und 20. Jahrhundert, um radikalen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Im 21. Jahrhundert ist es ein unbekannter Virus, der eine globale Pandemie auslöst, und wie auf unwiderstehlichen Befehl hin stehen alle Räder still. „Shutdown“ wird eine grundstürzend neue Erfahrung für alle gegenwärtigen Gesellschaften. Es scheint die Chance für eine „Große Transformation“ zu sein, die allenthalben von verschiedenen Seiten gefordert wird. Klimawandel, Umweltzerstörung, Ressourcenraubbau – alles das, was mit modernen Extraktionstechniken assoziiert wird, steht plötzlich zur Disposition. Auch die Globalisierung als Treiber für die Dynamik des gegenwärtigen Kapitalismus wird unversehens in Frage gestellt, obgleich sie in der Vergangenheit trotz aller bitterer Kosten zweifelsohne zum Abbau von globaler sozialer Ungleichheit beigetragen und 300 Millionen Menschen vor allem in China in die Mittelschicht katapultiert hat.
Post-Corona-Gesellschaft – der Titel dieses Soziologiekongresses könnte die Vermutung nahelegen, dass Corona ein Problem der Vergangenheit ist und wir längst auf dem Weg in eine Phase der Normalisierung eingetreten sind. Dies ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Corona fordert die Gesellschaft heraus, nach wie vor und auf vielen Ebenen – auch wenn der große Schockmoment, in dem die Welt den Atem anhielt, erst einmal überstanden zu sein scheint. Die Soziologie diskutiert auf virtuellen Tagungen und in Videokonferenzen, wie es weiter gehen kann und welche Lehren aus der anhaltenden Krise zu ziehen sein werden. Wie wird die Post-Corona-Gesellschaft aussehen? Wie geht die Gesellschaft aus einer Situation hervor, in der Wirtschaft, Arbeitswelt und öffentliches Leben einheitlich dem Imperativ der Nicht-Überlastung des Gesundheitssystems unterworfen waren? Vermag diese globale Krisenerfahrung die Weichen umzustellen für eine neue Gesellschaft, die die alten Imperative von Fortschritt, Wachstum, Beschleunigung hinterfragt? Wird sich überhaupt so etwas wie ein Epochenbruch ausmachen lassen oder beschreibt die Post-Corona-Gesellschaft eher eine Phase, in der das Coronavirus allmählich zu einem ganz normalen Gesellschaftsakteur wird (so wie Prionen oder Neutrinos)? Und welche neuen Trends und Tendenzen lassen sich beobachten?
Eines steht für die Soziologie außer Zweifel: Jede Krise prüft den Zustand der Gesellschaft. Getestet werden die Stabilität der Ordnung, das Funktionieren der Institutionen, die Resilienz von Gewohnheiten und Traditionen und natürlich die Lernfähigkeit der Gesellschaft im Umgang mit den Folgen. Für die Soziologie ist die Coronakrise daher ein interessanter Belastungstest für manche ihrer Konzepte und Theorieannahmen: Aus arbeitssoziologischer Perspektive mögen Erfahrungen mit dem Homeoffice die Debatte um die Entgrenzung von Arbeit bereichern. Aus familiensoziologischer Perspektive stellt sich die Frage, inwiefern die (ungleiche) Verteilung von Sorgelasten einen Rückfall in überkommen geglaubte Geschlechterrollen bedeutet. Die Techniksoziologie wird danach fragen, ob Digitalisierung und Künstliche Intelligenz nun noch rascher und flächendeckender durchgesetzt werden als zuvor und welche Folgen Formate digitaler Kommunikation in allen Lebensbereichen haben. Die Politische Soziologie wird sich dafür interessieren, ob extreme Krisen wie die Coronakrise einen bestimmten Typus politischer Herrschaft befördern und welcher Typus von politischer Regierung mit seinem Governance-Stil besser und wirkungsvoller agiert als andere. Aus konfliktsoziologischer Perspektive mag insbesondere interessieren, wie sich jene eigenartig breite Protestbewegung einordnen lässt, die sich im Kontext der Demonstrationen gegen die restriktiven politischen Maßnahmen entwickelt hat und im Feuilleton unter „Pandemie-Pegida“ firmiert. Aus wissenssoziologischer Perspektive irritiert der Boom von Verschwörungstheorien und „Fake News“ – ausgerechnet in einer Krise, die die Bedeutung wissenschaftlicher Expertise unterstrich. Die Umweltsoziologie sorgt sich darum, ob der Ausgang aus der Krise in der unverwandten Rückkehr zur „Normalität“ des globalen Turbokapitalismus besteht, um die materiellen Einbußen so rasch wie möglich aufzuholen, aber eben um den Preis, dass sich der ökologische Verfall unserer Welt noch im 21. Jahrhundert erfüllen wird. Und natürlich die Wirtschaft: Stärkt die Hoffnung auf den Post-Corona-Boom die Legitimationsgrundlage sozialer Marktwirtschaften oder ergibt sich die bereits erwähnte Chance auf eine Große Transformation?
Nicht zuletzt fordert die Coronakrise auch die Gesellschaftstheorie heraus: Welche Folgen hat es für eine funktional differenzierte Gesellschaft, wenn diese extrem dynamische und heterogene Ordnung durch politische Maßgabe auf einen zentralen Leitwert, nämlich den Lebensschutz, programmiert wird? Wie haben die verschiedenen Gesellschaften dieser Welt auf die Pandemie reagiert? Welche Lernprozesse waren zu beobachten? Welche Weichenstellungen wurden vorgenommen und warum? Welche Rückwirkungen wird die Pandemie-Erfahrung für unsere Lebensführung haben? Wie steht es um die Zukunft der Mobilität im Flug-, Bahn- und Autobereich? Bedarf die Moderne mit ihrer sich stets und ständig selbst überbietenden Steigerungslogik des „Schicksals“, etwa in Gestalt eines Virus, um von dem unwiderstehlichen Pfad der permanenten Selbstüberbietung vor dem Horizont der Selbstauslöschung abgebracht werden zu können? Spielt der Virus „Gott“ und kann uns neue Gebote überbringen, die einen nachhaltigen Transformationspfad einzuschlagen erlaubt?
Der Soziologiekongress in Wien wird sich um diesen Fragenkreis drehen. Wie ist es möglich, dass ein aggressiver, grippeartiger Virus schafft, was auf dieser Welt bislang nicht gelingen sollte: Innehalten, Nachdenken und Basisroutinen in Frage stellen? Diesen produktiven Impuls des Coronavirus will der Kongress in Wien aufnehmen und vertiefen. In einer Reihe von Plenarveranstaltungen, Ad-hoc-Gruppen und Sektionsveranstaltungen soll der rationale soziologische Gehalt der gesellschaftsdiagnostisch orientierten These einer Post-Corona-Gesellschaft zur Diskussion gestellt werden.
Plenen
Die Sektionen sind eingeladen, sich am Auswahlprozess der Plenen zu beteiligen. Informationen über das genaue Prozedere wird es im Rahmen der weiteren Aussendungen geben. Die Plenarveranstaltungen könnten sich auf folgende Themen beziehen (ohne darauf beschränkt sein zu müssen):
- Die Post-Corona-Gesellschaft: Begriffsproblematik und Krisensemantik
- Der Primat des Gesundheitssystems: Probleme und Folgen
- Wirtschaft, Wachstum und Wohlstand in Post-Corona-Gesellschaften
- Beruf, Familie und Lebensführung: Erfahrungen mit COVID-19 und ihre Folgen
- Körper, Selbst und Biosozialität: Krisenerfahrungen und Bewältigungsstrategien
- Zwischen Virologie und Verschwörungstheorie: Expertise in der Coronakrise
Sektionsveranstaltungen
Die Sektionen von DGS und ÖGS sind aufgerufen, in jeweiliger Kooperation und nach Möglichkeit gemeinsam mit den Kolleg/innen aus den Forschungskomitees der SGS die Themen ihrer Sektionsveranstaltungen festzulegen und sie den Kongressorganisator/innen zu melden. Jede Sektionskooperation hat die Möglichkeit, eine Session (120 Minuten) zu gestalten. All jene Sektionen, die innerhalb der ÖGS bzw. DGS keine Schwestersektion haben, können ebenfalls Themenvorschläge einreichen. Stichtag für die Meldung von Sektionsveranstaltungen ist der 23. Dezember 2020.
Ad-hoc-Gruppen
Anträge für Ad-hoc-Gruppen können bis zum 1. Februar 2021 gestellt werden. Die Auswahl der Ad-hoc-Gruppen trifft eine Jury, die sich aus Mitgliedern der Vorstände von DGS und ÖGS zusammensetzt. Österreichisch-deutsche Kooperationen werden bei der Auswahl bevorzugt behandelt.
Informationen zum Einreichungs- und Bewerbungsverfahren erhalten Sie in Kürze auf den Homepages von ÖGS und DGS.
AnsprechpartnerIn:
Dr. Sonja Schnitzler (DGS), sonja.schnitzler(at)kwi-nrw.de
Philipp Molitor, BA (ÖGS), office(at)oegs.ac.at
Wir gehen davon aus, dass der Soziologiekongress Ende August 2021 als Präsenzveranstaltung möglich sein wird. Sollte dies wider Erwarten nicht der Fall sein, wird er in virtueller Form durchgeführt werden. Mit Blick auf den Titel unseres Kongresses („Post-Corona-Gesellschaft?“) würden damit die Risiken soziologischer Zeitdiagnostik offenbar. Aber das müssen wir wohl in Kauf nehmen.
Themenpapier Soziologiekongress 2021 in Wien
Sammelband: Arbeit, Prekariat und Covid-19
/in Call for PapersEine Politik, die sich der Evidenz unterwirft, macht sich überflüssig
/in NewsIn der Coronakrise folgen die Regierenden wissenschaftlichem Rat. Das ist richtig – und zugleich problematisch. Denn alternative Fakten haben Konjunktur, wenn Politik alternativlos scheint. Ein Gastbeitrag von Alexander Bogner.
Link zum Artikel
CfP Regulierung, Governance und Medienethik in der digitalen Gesellschaft
/in Call for PapersWeiterleitung zu PDF-Version
3 Professuren (Universität Saarland)
/in OpportunitiesKonferenz: Spaces of Musical Cultures
/in VeranstaltungenInternational Conference
Spaces of Musical Cultures: From Bedrooms to Cities
19-20 March 2021
mdw – University of Music and Performing Arts Vienna
Fanny Hensel Hall & online
Anton-von-Webern-Platz 1, 1030 Vienna Austria
Speakers
Alice Aterianus-Owanga, Emília Barna, Georgina Born,
Sarah Chaker, Freya Jarman and Emily Baker,
Xuefei Ren, Will Straw, Fritz Trümpi
Organisers
Andrea Glauser (IKM), Rosa Reitsamer (IMS)
No Conference Fee / Registration Required
For registration, please write to Mona Torinek [torinek@mdw.ac.at] and indicate whether you would like to participate online or on-site.
Nähere Informationen: https://www.mdw.ac.at/ims/events/
Sektionsveranstaltung Verkörperte Sozialität im Ausnahmezustand (Soziologiekongress 2021)
/in Call for PapersCall for Paper
Verkörperte Sozialität im Ausnahmezustand: Körper- und emotionssoziologische Perspektiven auf Vollzug,
Darstellung und Bewältigung von ‚Nähe auf Distanz‘
Veranstaltung der DGS-Sektion „Soziologie des Körpers und des Sports“ und der ÖGSSektion „Körper- und Emotionssoziologie“ im Rahmen des gemeinsamen Kongresses von DGS und ÖGS, 21.-23.8.2021 in Wien
Call for Paper als PDF
Die Corona-Pandemie und vor allem die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung („social distancing“) irritieren gesellschaftlich tiefsitzende Vorstellungen und Erwartungen zum Zusammenhang von sozialer und körperlicher Nähe. Auch ein soziologisches Grundverständnis von Sozialität, welches soziale Ordnung wesentlich auch als eine Ordnung der Körper zueinander im öffentlichen Raum begreift, ist daher durch die Umstände der Pandemie herausgefordert.
Gesellschaften kamen zwar schon vor der Corona-Pandemie und der Einführung sog. Abstandsregeln nicht ohne implizite soziale Regeln des Abstandhaltens und des Managements von ‚personal space‘ (Hall) aus. Das Verhältnis von körperlich-räumlicher und sozialer Nähe ist schon immer Gegenstand aktiver Aushandlungsprozesse. Durch die Maßnahmen im Zuge der Bekämpfung der Pandemie werden aber zum einen diese ansonsten stillschweigend vollzogenen Aushandlungsprozesse sowie die ‚unsichtbare‘ Arbeit besonders sichtbar, die nötig ist, um aus körperlich-räumlicher Nähe soziale Nähe zu machen. Zum anderen entsteht durch das verordnete physische Abstandhalten bzw. die gänzliche Vermeidung von physischen Interaktionen ein Handlungsproblem von besonderer Dringlichkeit und körper- und emotionssoziologischem Interesse: Wie lässt sich soziale Nähe herstellen, darstellen und managen, wenn man sich physisch nicht nahekommen kann bzw. darf?
In der geplanten Veranstaltung möchten wir Beiträge versammeln, die diese Frage aus dem Blickwinkel der Soziologie des Körpers und des Leibes sowie der Soziologie der Emotionen und Affekte adressieren. Wir fragen nach Beiträgen, die Aspekte der Herstellung, Darstellung oder Bewältigung von ‚Nähe auf Distanz‘ mit Bezug auf einen oder mehrere der folgenden empirischen Bereiche thematisieren: (1) die Nutzung (oder Verweigerung) von „Gesichtsmasken“/„Mund-Nasen-Schutz“; (2) die Einführung und Handhabung neuer physischer Abstandsregeln in der sozialen Interaktion; und (3) die vermehrte Substitution von Face-to-Face-Interaktionen durch Interaktionen mittels digitaler Kommunikationstechnologie.
(1) Nutzung oder Verweigerung des Tragens von „Gesichtsmasken“/ „Mund-Nasen-Schutz“
Neben ihrer materiell-räumlichen Anwesenheit funktionieren Körper im öffentlichen Raum v. a. als kommunikative ‚Displays‘. Ihre „folgenschwere Offensichtlichkeit“ (Goffman) ist mit der Verbreitung von Mund-Nase-Bedeckungen deutlich verändert. So verdecken Masken wesentliche Teile des Gesichts und erschweren das Verstehen des Ausdrucks (sowohl des sprachlichen Ausdrucks als auch der Mimik, insbesondere des emotionalen Ausdrucks), vor allem dann, wenn sie in Verbindung mit Sonnenbrillen, Kappen oder Mützen getragen werden. Zugleich kommuniziert die Maske in gewisser Weise auch selbst: So lässt sich auch danach fragen, wie sich durch die materielle Machart von 2 Masken (z. B. Einwegmaske, waschbare Stoffmaske, Gesichtsvisier usw.) und ihre spezifische Aufmachung (einfarbig, bunt, Aufschrift, mit Firmenlogo, mit Hinweis auf einen Fußballverein, mit Verweis auf eine überstandene COVID-19-Erkrankung etc.) sowie der Entscheidung, in gewissen Situationen Masken zu tragen oder dies nicht zu tun, krisenhafte Formen der Darstellung und des Managements von Nähe auf Distanz formieren.
(2) Einführung und Handhabung ‚neuer‘ physischer Abstandsregeln
Wie thematisieren Diskurse rund um die pandemiebedingten neuen Regeln des Abstandhaltens und der Kontaktvermeidung gesellschaftlich geltende Vorstellungen von gebührendem Abstand und damit das Verhältnis von Abstand und Anstand? Welche Praktiken der Vermeidung oder des anderweitigen Managements körperlicher Nähe lassen sich in sozialen Interaktionen in Corona-Zeiten beobachten? Der globale Charakter der Pandemie verweist zudem auf den geografisch, national- oder ‚kultur‘-räumlich variierenden Charakter von Regeln körperlicher Proxemik und ihrer Thematisierung als (un-)angemessen. Ähnliches lässt sich über die Deutung von textiler Bedeckung als ‚Einschränkung‘ der persönlichen Individualität vermuten. Welche diesbezüglichen Deutungen bzw. Umdeutungen von persönlichen ‚Territorien des Selbst‘ (Goffman) und von ‚verhüllten‘ Körpern lassen sich beobachten? Welche Emotionen und Affekte werden durch das ‚physical distancing‘ hervorgebracht? Wie wird versucht emotional aufgeladene Situationen trotz dieser Einschränkungen zu managen?
(3) Substitution von Face-to-Face-Interaktionen durch digital vermittelte Interaktionen
Schließlich ist auch danach zu fragen, wie digitale Kommunikationstechnologien in Zeiten gesellschaftlicher Lockdowns an der körperlichen Herstellung, Darstellung und Bewältigung von ‚Nähe auf Distanz‘ beteiligt sind. Welche Strategien und ‚unsichtbaren‘ Arbeiten lassen sich identifizieren, mit denen in medienvermittelter Kommunikation die Herstellung von ‚Nähe auf Distanz‘ betrieben wird? Wie lässt sich speziell die Körperlichkeit der vermeintlich entkörperten Interaktion beschreiben, gerade, wenn es um die Produktion emotionaler Nähe geht? Welchen Beitrag leisten verschiedene Medienformen – Messenger-Dienste, soziale Medien, Videotelefonie – zur Formierung des sprachlichen, mimischen und emotionalen Ausdrucks? Welche Hürden und Schwierigkeiten ergeben sich durch die Substitution und welche praktischen, kommunikativen und sozio-materiellen Leistungen der Darstellung und Kompensation lassen hierbei beobachten? Wie lassen sich die digital vermittelten Formen des Ausdrucks, der Kommunikation von Emotionen und des Umgangs mit Emotionen körper- und emotionssoziologisch zu deuten?
Wir freuen uns über Vortragsangebote, die im Bereich der umrissenen Fragen empirische oder konzeptuelle Beiträge von max. 20 Minuten Länge skizzieren.
Bitte schicken Sie einen Arbeitstitel samt Abstract (500 Worte) bis zum 15.03.2021 an die Organisator:innen
Stefan Laube (stefan.laube@jku.at)
Antonia Schirgi (antonia.schirgi@uni-graz.at)
Tobias Boll (boll@uni-mainz.de).
Wir informieren Sie bis zum 11.04.2021, ob Ihr Vortrag Teil des Programms wird.
CfP: Jahrestagung Soziologische Theorie
/in VeranstaltungenWeiterleitung zum CfP (pdf)
Wie kommen die Babys in die Pandemie?
/in NewsSoziologin und Sexualpädagogin Barbara Rothmüller diesmal zum wundersamen Ausbleiben des Baby-Booms in der Coronazeit.
Hier geht es zum Beitrag.
Uber könnte Taxis aus Städten verdrängen
/in NewsSusanne Pernika, Soziologieprofessorin an der Linzer JKU, warnt vor eine Taxi-Marktübernahme durch Uber. Die neue Regulierung von Taxis bringe einen „erheblichen Vorteil“ für internationale Plattformen…
Link zum Beitrag
Soziologiekongress 2021: Die Post-Corona-Gesellschaft? Pandemie, Krise und ihre Folgen
/in Aktuelles, VeranstaltungenSoziologiekongress 2021
Veranstalter: Österreichische Gesellschaft für Soziologie (ÖGS) und Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS)
Zeit: 23. bis 25. August 2021
Ort: Wirtschaftsuniversität Wien
Zur Kongresswebsite geht es hier.
„Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will!“ So lautete die Ermutigung an die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt im 19. und 20. Jahrhundert, um radikalen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Im 21. Jahrhundert ist es ein unbekannter Virus, der eine globale Pandemie auslöst, und wie auf unwiderstehlichen Befehl hin stehen alle Räder still. „Shutdown“ wird eine grundstürzend neue Erfahrung für alle gegenwärtigen Gesellschaften. Es scheint die Chance für eine „Große Transformation“ zu sein, die allenthalben von verschiedenen Seiten gefordert wird. Klimawandel, Umweltzerstörung, Ressourcenraubbau – alles das, was mit modernen Extraktionstechniken assoziiert wird, steht plötzlich zur Disposition. Auch die Globalisierung als Treiber für die Dynamik des gegenwärtigen Kapitalismus wird unversehens in Frage gestellt, obgleich sie in der Vergangenheit trotz aller bitterer Kosten zweifelsohne zum Abbau von globaler sozialer Ungleichheit beigetragen und 300 Millionen Menschen vor allem in China in die Mittelschicht katapultiert hat.
Post-Corona-Gesellschaft – der Titel dieses Soziologiekongresses könnte die Vermutung nahelegen, dass Corona ein Problem der Vergangenheit ist und wir längst auf dem Weg in eine Phase der Normalisierung eingetreten sind. Dies ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Corona fordert die Gesellschaft heraus, nach wie vor und auf vielen Ebenen – auch wenn der große Schockmoment, in dem die Welt den Atem anhielt, erst einmal überstanden zu sein scheint. Die Soziologie diskutiert auf virtuellen Tagungen und in Videokonferenzen, wie es weiter gehen kann und welche Lehren aus der anhaltenden Krise zu ziehen sein werden. Wie wird die Post-Corona-Gesellschaft aussehen? Wie geht die Gesellschaft aus einer Situation hervor, in der Wirtschaft, Arbeitswelt und öffentliches Leben einheitlich dem Imperativ der Nicht-Überlastung des Gesundheitssystems unterworfen waren? Vermag diese globale Krisenerfahrung die Weichen umzustellen für eine neue Gesellschaft, die die alten Imperative von Fortschritt, Wachstum, Beschleunigung hinterfragt? Wird sich überhaupt so etwas wie ein Epochenbruch ausmachen lassen oder beschreibt die Post-Corona-Gesellschaft eher eine Phase, in der das Coronavirus allmählich zu einem ganz normalen Gesellschaftsakteur wird (so wie Prionen oder Neutrinos)? Und welche neuen Trends und Tendenzen lassen sich beobachten?
Eines steht für die Soziologie außer Zweifel: Jede Krise prüft den Zustand der Gesellschaft. Getestet werden die Stabilität der Ordnung, das Funktionieren der Institutionen, die Resilienz von Gewohnheiten und Traditionen und natürlich die Lernfähigkeit der Gesellschaft im Umgang mit den Folgen. Für die Soziologie ist die Coronakrise daher ein interessanter Belastungstest für manche ihrer Konzepte und Theorieannahmen: Aus arbeitssoziologischer Perspektive mögen Erfahrungen mit dem Homeoffice die Debatte um die Entgrenzung von Arbeit bereichern. Aus familiensoziologischer Perspektive stellt sich die Frage, inwiefern die (ungleiche) Verteilung von Sorgelasten einen Rückfall in überkommen geglaubte Geschlechterrollen bedeutet. Die Techniksoziologie wird danach fragen, ob Digitalisierung und Künstliche Intelligenz nun noch rascher und flächendeckender durchgesetzt werden als zuvor und welche Folgen Formate digitaler Kommunikation in allen Lebensbereichen haben. Die Politische Soziologie wird sich dafür interessieren, ob extreme Krisen wie die Coronakrise einen bestimmten Typus politischer Herrschaft befördern und welcher Typus von politischer Regierung mit seinem Governance-Stil besser und wirkungsvoller agiert als andere. Aus konfliktsoziologischer Perspektive mag insbesondere interessieren, wie sich jene eigenartig breite Protestbewegung einordnen lässt, die sich im Kontext der Demonstrationen gegen die restriktiven politischen Maßnahmen entwickelt hat und im Feuilleton unter „Pandemie-Pegida“ firmiert. Aus wissenssoziologischer Perspektive irritiert der Boom von Verschwörungstheorien und „Fake News“ – ausgerechnet in einer Krise, die die Bedeutung wissenschaftlicher Expertise unterstrich. Die Umweltsoziologie sorgt sich darum, ob der Ausgang aus der Krise in der unverwandten Rückkehr zur „Normalität“ des globalen Turbokapitalismus besteht, um die materiellen Einbußen so rasch wie möglich aufzuholen, aber eben um den Preis, dass sich der ökologische Verfall unserer Welt noch im 21. Jahrhundert erfüllen wird. Und natürlich die Wirtschaft: Stärkt die Hoffnung auf den Post-Corona-Boom die Legitimationsgrundlage sozialer Marktwirtschaften oder ergibt sich die bereits erwähnte Chance auf eine Große Transformation?
Nicht zuletzt fordert die Coronakrise auch die Gesellschaftstheorie heraus: Welche Folgen hat es für eine funktional differenzierte Gesellschaft, wenn diese extrem dynamische und heterogene Ordnung durch politische Maßgabe auf einen zentralen Leitwert, nämlich den Lebensschutz, programmiert wird? Wie haben die verschiedenen Gesellschaften dieser Welt auf die Pandemie reagiert? Welche Lernprozesse waren zu beobachten? Welche Weichenstellungen wurden vorgenommen und warum? Welche Rückwirkungen wird die Pandemie-Erfahrung für unsere Lebensführung haben? Wie steht es um die Zukunft der Mobilität im Flug-, Bahn- und Autobereich? Bedarf die Moderne mit ihrer sich stets und ständig selbst überbietenden Steigerungslogik des „Schicksals“, etwa in Gestalt eines Virus, um von dem unwiderstehlichen Pfad der permanenten Selbstüberbietung vor dem Horizont der Selbstauslöschung abgebracht werden zu können? Spielt der Virus „Gott“ und kann uns neue Gebote überbringen, die einen nachhaltigen Transformationspfad einzuschlagen erlaubt?
Der Soziologiekongress in Wien wird sich um diesen Fragenkreis drehen. Wie ist es möglich, dass ein aggressiver, grippeartiger Virus schafft, was auf dieser Welt bislang nicht gelingen sollte: Innehalten, Nachdenken und Basisroutinen in Frage stellen? Diesen produktiven Impuls des Coronavirus will der Kongress in Wien aufnehmen und vertiefen. In einer Reihe von Plenarveranstaltungen, Ad-hoc-Gruppen und Sektionsveranstaltungen soll der rationale soziologische Gehalt der gesellschaftsdiagnostisch orientierten These einer Post-Corona-Gesellschaft zur Diskussion gestellt werden.
Plenen
Die Sektionen sind eingeladen, sich am Auswahlprozess der Plenen zu beteiligen. Informationen über das genaue Prozedere wird es im Rahmen der weiteren Aussendungen geben. Die Plenarveranstaltungen könnten sich auf folgende Themen beziehen (ohne darauf beschränkt sein zu müssen):
Sektionsveranstaltungen
Die Sektionen von DGS und ÖGS sind aufgerufen, in jeweiliger Kooperation und nach Möglichkeit gemeinsam mit den Kolleg/innen aus den Forschungskomitees der SGS die Themen ihrer Sektionsveranstaltungen festzulegen und sie den Kongressorganisator/innen zu melden. Jede Sektionskooperation hat die Möglichkeit, eine Session (120 Minuten) zu gestalten. All jene Sektionen, die innerhalb der ÖGS bzw. DGS keine Schwestersektion haben, können ebenfalls Themenvorschläge einreichen. Stichtag für die Meldung von Sektionsveranstaltungen ist der 23. Dezember 2020.
Ad-hoc-Gruppen
Anträge für Ad-hoc-Gruppen können bis zum 1. Februar 2021 gestellt werden. Die Auswahl der Ad-hoc-Gruppen trifft eine Jury, die sich aus Mitgliedern der Vorstände von DGS und ÖGS zusammensetzt. Österreichisch-deutsche Kooperationen werden bei der Auswahl bevorzugt behandelt.
Informationen zum Einreichungs- und Bewerbungsverfahren erhalten Sie in Kürze auf den Homepages von ÖGS und DGS.
AnsprechpartnerIn:
Dr. Sonja Schnitzler (DGS), sonja.schnitzler(at)kwi-nrw.de
Philipp Molitor, BA (ÖGS), office(at)oegs.ac.at
Wir gehen davon aus, dass der Soziologiekongress Ende August 2021 als Präsenzveranstaltung möglich sein wird. Sollte dies wider Erwarten nicht der Fall sein, wird er in virtueller Form durchgeführt werden. Mit Blick auf den Titel unseres Kongresses („Post-Corona-Gesellschaft?“) würden damit die Risiken soziologischer Zeitdiagnostik offenbar. Aber das müssen wir wohl in Kauf nehmen.
Themenpapier Soziologiekongress 2021 in Wien